Die „Nicht-Reaktivierungs-Kriterien“ der Bayerischen Staatsregierung

Für die Reaktivierung von nicht mehr befahrenen Bahnstrecken hat der Freistaat klare Kriterien aufgestellt. Es sind aber gerade diese Kriterien, die Streckenreaktivierungen erfolgreich ausbremsen.

Eine aktuelle schriftliche Anfrage des Landtagsabgeordneten Markus Büchler zeigt, wie Reaktivierungsprojekte in Bayern ausgebremst werden. Damit handelt die Staatsregierung eindeutig gegen die selbst auferlegten Ziele des Klimaschutzes und der Förderung des ländlichen Raums, stellen regionale Bahnlinien doch die attraktivste Form des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) dar. Für die Ilztalbahn haben wir die zahlreichen Vorteile der Bahn unter der Rubrik „Zukunft Ilztalbahn“ gesammelt.

Die schriftliche Anfrage und die Antwort des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr finden Sie hier:

https://markus-buechler.de/wp-content/uploads/2019/09/2019-08-16StmB-BY-Antwort-SAN-Reaktivierung-von-Eisenbahnstrecken.pdf

Die vier Reaktivierungskriterien lauten:

1. Eine Prognose, die vom Freistaat Bayern anerkannt wird, ergibt, dass eine Nachfrage von mehr als 1.000 Reisenden pro Werktag zu erwarten ist (1.000 Reisenden-Kilometer pro Kilometer betriebener Strecke).

1.000 Reisende pro Werktag stellen im ländlichen Raum die größte Hürde dar. Wie sollen Städte wie z.B. Waldmünchen oder Weidenberg mit weniger als 7.000 Einwohnern diese hohe Fahrgastzahlen generieren? Tatsächlich wird diese Fahrgastnachfrage auf zahlreichen Schienenstrecken im Freistaat nicht erreicht, so z.B. auf einem Großteil des Waldbahnnetzes (eine Liste aller Strecken finden Sie in dieser Landtagsdrucksache). Aber stellt nicht gerade hier der Taktverkehr auf der Schiene einen wesentlichen Standort- und Wirtschaftsfaktor dar? Zudem wird ignoriert, dass reaktivierte Strecken zusätzliche Reisenden-Kilometer auf Hauptstrecken generieren, so z.B. in Viechtach, wo ein Großteil der Reisenden nicht nach Gotteszell will, sondern bis Deggendorf oder gar München weiterfährt.

Begründet wird dieses Kriterium mit dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und den geringeren Produktionskosten des Busses. Im gleichen Maße sind Busse aber auch unattraktiver, stehen ggf. im Stau und generieren eine entsprechend geringere Nachfrage. Die langfristige Siedlungs- und Strukturentwicklung kann nur durch die verlässliche Linienführung der Bahn angeregt werden. Zudem lassen die zahlreichen finanzierten bayerischen Straßenbauprojekte insgesamt Zweifel am Gebot der Wirtschaftlichkeit (und des Klimaschutzes) oder zumindest an der Gleichbehandlung der Verkehrsträger bei der Verkehrsinfrastruktur aufkommen.

Es gibt eine Grenze der Wirtschaftlichkeit von Nebenbahnen. Aber diese liegt sicher nicht bei exakt 1.000 Fahrgästen sondern, angepasst an die Strukturdaten, häufig auch darunter.

2. Die Infrastruktur wird ohne Zuschuss des Freistaats in einen Zustand versetzt, der einen attraktiven Zugverkehr ermöglicht.

Hier beruft sich der Freistaat darauf, das der Bund für die Finanzierung des bundeseigenen Schienennetzes zuständig ist. An die Deutsche Bahn fließen hierfür Fördermittel. Allerdings sind zahlreiche Reaktivierungsstrecken (so auch die Ilztalbahn) nicht im Besitz der Deutschen Bahn, sondern wurden an private Betreiber verkauft, weshalb es hier (fast) keine adäquaten Förderprogramme gibt. Gemeinsam mit den anderen privaten Infrastrukturbetreibern in Bayern fordern wir in einem Positionspapier eine angemessene Förderung.

Der Freistaat könnte einspringen und ein eigenes Landeseisenbahnfinanzierungsgesetz aufstellen, wie es beispielsweise in Baden-Württemberg existiert. Für die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München werden Regionalisierungsmittel zur Infrastrukturfinanzierung zurückgehalten, Gelder, die eigentlich in die Bestellung des SPNV in ganz Bayern fließen sollten.

3. Ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) ist bereit, die Strecke und die Stationen dauerhaft zu betreiben und berechnet hierfür Infrastrukturkosten, die das Niveau vergleichbarer Infrastruktur der Deutschen Bahn nicht übersteigen.

Wie schon bei Punkt 2 lagert der Freistaat hier die Verantwortung aus. Ohne Förderprogramme ist kein EIU in der Lage, die Investitionen in die Eisenbahn langfristig nur aus den Trasseneinnahmen (= Infrastrukturkosten) zu tragen, solange diese auf das DB-Niveau gedeckelt sind. Entweder muss das Land eigene Finanzierungstöpfe schaffen oder höhere Infrastrukturkosten inkauf nehmen.

4. Die Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) müssen sich vertraglich verpflichten, ein mit dem Freistaat Bayern abgestimmtes Buskonzept im Bereich der Reaktivierungsstrecke umzusetzen.

Der letzte Punkt klingt einleuchtend und ist es auch. Die Aufgabenträger des Busverkehrs müssen diesen in gewissem Umfang an die Eisenbahn anpassen. Was aber fehlt, ist eine deutliche Aussage und ein klarer Rahmen bezüglich der zugelassenen Parallelverkehre. An genau dieser Thematik scheitert seit mittlerweile bald fünf Jahren die Potenzialanalyse zur Ilztalbahn.

 

Die Ilztalbahn erfüllt die Kriterien 2 und 3. Kriterium 1 muss in der Potenzialanalye geklärt werden, wofür allerdings die Erfüllung von Kriterium 4 vorausgesetzt wird. In einem Fragenkatalog hatten die Gebietskörperschaften auf klärende Antworten aus München gehofft. Das Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr lässt in seiner Antwort allerdings viele Fragen offen oder beantwortet diese so unklar, dass die Region wiederum auf dieser schwachen Basis keinen positiven Beschluss fassen will.

Für die Zukunft der Ilztalbahn und anderer vielversprechender Reaktivierungsprojekte in Bayern können wir nur hoffen, dass diese bürokratische Hinhaltetaktik endlich unterbrochen und eine klare politische Linie pro Streckenreaktivierungen gefunden wird.

Am Ende empfehlen wir den Entscheidern in Verwaltung und Politik diese lesenswerte Broschüre der Allianz pro Schiene. Zeigen die zahlreichen positiven Beispiele nicht, dass die Reaktivierung von Bahnstrecken insgesamt sinnvoll ist? Warum also nicht auch in Bayern?

https://www.allianz-pro-schiene.de/wp-content/uploads/2015/09/stadt-land-schiene-4-auflage-2014.pdf

 

Quellen u.a.: https://www.br.de/nachrichten/bayern/gruene-wollen-stillgelegte-bahn-nebenstrecken-reaktivieren,RbCWmcn